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Die Wiederentdeckung der Seele

Von Waltraud Lang 

Um die derzeitige Krise zu überwinden, müssen wir verstehen, dass wir weit mehr sind, als das herrschende materalistische Weltbild aus uns zu machen versucht.

„Der Materialismus ist ein Zeichen geistiger Dekadenz, eine Aushöhlung des Inneren“ (1).

 

Dieser Satz, von Rudolf Steiner am 10. Oktober 1907 bei einem Vortrag in Berlin ausgesprochen, ist wohl heute so aktuell wie damals.

Das Zeitgeschehen mit COVID-19 offenbart nicht nur den fast vollständigen Sieg des Materialismus, sondern auch seine Grausamkeit und Verhärtung. Ein aufgeblähter Machtapparat mit arroganter Hybris setzt sich über Grundrechte, Freiheit und Selbstbestimmung der Menschen hinweg. Die autoritativen Zwänge und Regelungen mit ihrem diffusen, undifferenzierten Zahlenspiel, die Suggestionen, Manipulationen und Lügen haben das Zepter übernommen, während wissenschaftliche, medizinisch fundierte Studien und Aussagen ignoriert und diffamiert werden. Offener Dialog und Logik wurden vom Schauplatz entfernt, um dem neuen Glaubensbekenntnis der Politik Platz zu machen, welches die Gesundheit des Körpers als oberstes Ziel deklariert und keinerlei Zweifel und Widerspruch duldet.

Weder das Vorhandensein eines weisheitsvollen Immunsystems noch die Bedeutung einer gesunden, beziehungsfähigen und freudigen Seele finden Beachtung bei den Mächtigen. Der Mensch wird reduziert — reduziert auf den Körper, auf die Materie. Dabei wird der Blick auf die gequälte Psyche der Kinder und Erwachsenen, auf die existenziellen Ängste und Nöte, auf die weltweiten Kollateralschäden mit Tausenden von Toten, Hungernden und in die Armut getriebenen Menschen weitgehendst vermieden.

Der Mensch ist mehr als nur Materie

Die Erkenntnis, dass der Mensch aus Geist, Seele und Körper besteht, wurde vom Vierten Konzil von Konstantinopel im Jahre 869 mit dem Bannfluch belegt. Die Lehre von der Trichotomie, der dreigliedrigen Differenzierung der menschlichen Wesenheit, wurde verurteilt. Seitdem spricht man von Seele und Körper des Menschen, der Geist wurde ihm abgesprochen. Wenn man die Trichotomie trotzdem anerkannte, so galt man im Mittelalter als Ketzer.

Der Abstieg in die Materie, der Werteverfall, das Desinteresse an seelisch-geistiger Entwicklung, am Auftrag und Sinn des Lebens nahmen mit der Verdunkelung der höheren Geistindividualität ihren Lauf.

 

Doch immer wieder zeigen sich Kräfte und Strömungen auf dem irdischen Plan, die diesem Entwicklungsabstieg und Materialismus entgegenstehen und getragen sind von der Gewissheit, dass der Mensch mehr ist als nur Materie und der Geist nicht eliminiert werden kann.

Individualisierter Mensch versus Einheitsmensch

Es scheint, als stehe die Menschheit mit dem gegenwärtigen Zeitphänomen an einem bedeutungsvollen Scheideweg: Auf der einen Seite weist der Pfad zur Aufwärtsentwicklung, zum eigenständigen, individuellen Menschen, der mit eigener Gedankenkraft, Selbstbestimmung, Freiheit und der damit verbundenen Verantwortung das Leben in eine ästhetische Führung lenkt, der das Menschsein in seiner vollkommenen und edelsten Form erstrebt. Der andere Weg führt zur Abwärtsentwicklung ins Gruppenhafte, Herdenähnliche, indem der Mensch fremdbestimmt, passiv und gehorsam sich im Kollektiv selbst verliert, formlos wird und als Einheitsmensch aufgeht in der lenkbaren Masse.

Wichtig für die aufsteigende Entwicklung und für eine weisheitsvolle Kulturerkraftung ist sicherlich, dass den äußeren Einflüssen ein stabiles, aktives Inneres gegenüberstehen muss. Die Geistphilosophen, wie Rudolf Steiner und Heinz Grill (2), beschreiben dies mit einer produktiven Tätigkeit, die mit einer objektiven Anschauungsbildung, einer wirklichen Beobachtung beginnt und mit der lebhaften Auseinandersetzung mit einem Phänomen oder Zeitgeschehen sowie einem folgerichtigen logischen Denken zu einer eigenständigen Erkenntnis leitet, welche Geist, Seele und Körper des Menschen mit einbezieht.

Dies führt schließlich auch zu einem regen konstruktiven Denken in die Zukunft für eine bessere, ästhetische und sozialfreundliche Kultur und erhält zudem die psychische und physische Gesundheit des Studierenden. Er entwickelt eine innere Stabilität, eine innere kraftvolle Substanz, sogar eine bedeutende Immunstärkung bei diesem geistigen Arbeiten und Forschen, und gleichzeitig ist er mit der Außenwelt empathisch verbunden.

„Die geistige Aufrichtekraft, unabhängig von der traumatischen Situation, frei gewählt und ohne Beeinflussung durch Druckbelastungen von außen, wäre das Heilmittel“ (3).

Ein Heraustreten aus der angstbeladenen, belastenden Sphäre der Gegenwart, ein Sichaufrichten und Überschreiten der eigenen Gemütsverfassung, um eine freie Anschauung zu ermöglichen, ist in dem gegenwärtigen Zeitgeschehen eine regelrechte Herausforderung, denn die Virusinfektion kann durchaus auch einen schweren Verlauf nehmen, sogar zum Tode führen. Auch die Angst vor wachsender Fremdbestimmung oder vor dem Zusammenbruch der Wirtschaft mit Arbeitslosigkeit und Armut ist durchaus berechtigt. Doch der Mut zu diesem Aufrichten weitet und schenkt die nötige Übersicht für die Realität.

Würde der Mensch das äußere Geschehen nicht eigenständig verarbeiten und gedanklich erfassen, würde er sich allen auferlegten Zwängen und Dogmen kritiklos beugen und das Denken an eine Autorität abgeben und somit deren Unfehlbarkeitsdünkel anerkennen, so würde er innerlich veröden und sinnentleert, freudlos durch die Welt gehen, ein lebendiger Toter.

Wir haben hohe Errungenschaften von Naturwissenschaft, Technik und Medizin, wir erforschen die Erde, die Meere und das All, und die Ergebnisse sind bewunderungswürdig. Doch fast vollständig verloren gegangen ist dabei das Bewusstsein über die seelisch-geistigen Dimensionen.

Was die heutige Zeit am dringendsten benötigt, ist die Geisteswissenschaft, konkrete Wege zur Bewusstseins- und Erkenntnisentwicklung von Geist, Seele und Materie, ein Studium der freien Spiritualität, des Selbstwerdens.

 

Noch werden diese allerdings auf das Heftigste bekämpft, denn ein selbstdenkender, bewusster und eigenverantwortlicher Mensch beugt sich der Fremdbestimmung nicht. Und so zeigt sich der verhärtete Materialismus in seiner übelsten Art, indem er diese bewusstseinsfördernden Bewegungen und ihre Gründer diffamiert, schmäht, mit Projektionen, Lügen und verbalem Steinschlag zu vernichten sucht. Da der Scheiterhaufen unmodern geworden ist, greift man zu Rufmord, und leider gibt es immer wieder unseriöse Journalisten ohne Ehrgefühl, die sich für solche Machenschaften ködern lassen, sowie Menschen, die offenbar sinnentleert und hasserfüllt diese Kampagnen nähren. Das Feinstoffliche, das Nichtgreifbare wird geschmäht.

Wie treffend muten da die Worte Friedrich Schillers an: „Es liebt die Welt, das Strahlende zu schwärzen und das Erhabene in den Staub zu ziehn.“ Und weiter schreibt er: „ Doch fürchte nicht! Es gibt noch schöne Herzen, die für das Hohe, Herrliche entglühn“ (4).

Die Zeitgeschichte schreibt gegenwärtig ein sehr finsteres Kapitel, in dem der Geist vollständig ausgeschlossen ist, die fortwährende Angstpropaganda neue Abhängigkeiten schafft und die alleinige Erlösung durch eine fragwürdige Impfung prophezeit wird. Doch liegt es an jedem einzelnen Menschen, das nächste Kapitel des Lebens zu gestalten und sich den Entwicklungsanforderungen zu stellen.

So wende ich mich entschieden dem Hohen, Herrlichen zu, wie Schiller es benennt, der individuellen Position und Stellung des Einzelmenschen, der mit Hilfe und Anregung des wertvollen Erbes unserer Philosophen, wie Fichte und Hegel, unserer genialen Dichter und Denker, wie Goethe und Schiller, auch der erhebenden Werke von Künstlern und Musikern, wie Richard Wagner und Beethoven, und vor allem dem hohen Gedankengut der Geistphilosophen die eigenständige Führung des Lebens übernimmt, der durch aktives, logisches Denken nicht nur die Gesundheit erbaut, sondern auch für die Zukunft erhebende geistige Impulse für das soziale Leben hervorbringt.

Das Ideelle, das, was in der Zukunft werden soll, dem Leben eingliedern, das Geistige wieder suchen und anerkennen, das haben diese Menschen uns vorgelebt, und das hebt heraus aus dem Materialismus.

 

Quellen und Anmerkungen:
(1) Zitat von Rudolf Steiner, Gründer der Anthroposophie, aus dem Vortrag „Die Mission der Geheimwissenschaft in unserer Zeit“, Rudolf Steiner Verlag, Taschenbuchreihe 685, Seite 32.
(2) Heinz Grill, Geistforscher, Autor und spiritueller Lehrer, Gründer des Entwicklungsweges „Der neue Yogawille“.
(3) Zitat aus dem Artikel von Heinz Grill: „Geistschulung kann den Willen und die Gesundheit erbauen.“
(4) Friedrich Schiller, Zitat aus „Das Mädchen von Orleans“.

 

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