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Geschichte des Humanismus – ein kurzer Ausflug

Von Indrajit Joachim Vogt.

Anhören:

“Neohumanismus ist der Humanismus der Vergangenheit, der Humanismus
der Gegenwart und, neu erzählt, der Humanismus der Zukunft“
Prabhat Rainjan Sarkar, aus dem Vortrag
“Neohumanismus, die letzte Zuflucht” (1982)

 

P. R. Sarkar verwendet den Begriff Humanismus in einer generalisierten Bedeutung als Summe aller positiven Theorien und Konzepte der Menschheit seit ihren Anfängen. Er stellt keine explizite Verbindung her zu den historischen humanistischen Strömungen in Europa, die in der westlichen Welt bis in die Gegenwart hinein wirken.

Humanistische Griechen.

Das humanistische Menschenbild entstand im antiken Griechenland, als Philosophen Überlegungen zum Menschsein, seiner Bedeutung und seiner Potentiale anstellten. Die Eliten ließ man durch Gelehrte unterrichten um diese Potentiale zu fördern.

Ähnliche Gedanken wurden ab dem 16. Jahrhundert erneut von den Denkern der Zeit aufgegriffen und prägten die Epoche der europäischen Aufklärung. Heute stehen humanistische Werte wie Menschenwürde und individuelle Freiheiten überall auf der Welt als unveräußerliche Grundrechte ganz oben in den staatlichen Verfassungen der Welt.

Demnach wäre also Humanismus eine Erfolgsgeschichte. Warum dann überhaupt ein “neuer Humanismus”?

 

Klingt gut, doch leider wirkungslos?

Nun, schöne Worte und deren Umsetzung in der realen Welt sind wohl zwei verschiedene Dinge.

Zwar zählen humanistische Vordenker wie Jean-Jacques Rousseau (1712 – 1778) zu den geistigen Vätern der Französischen Revolution, doch wie wir wissen, mündete diese schon bald in wildes Blutvergießen und endete mit der Wiedereinführung der Monarchie sowie dem Aufstieg eines eroberungslüsternen Napoleon.

Wo waren da die humanistischen Ideale der Philosophen? Dass am Ende die absolutistischen Herrschaftsformen in Europa durch parlamentarische Systeme abgelöst wurden, kann man nur teilweise als humanistischen Erfolg verbuchen, es bedeutete vor allem eine Auswechslung der herrschenden Schicht.

Hier treten einige grundlegende Schwächen des europäischen Humanismus zutage. Als intellektuell-philosophisches Produkt sozialer Eliten (Angehörige des Adels, denn nur solche nahmen am Kulturleben teil) geht er offensichtlich nicht ausreichend auf die psychologischen Realitäten und Bedürfnisse der Bevölkerung ein.

Die harschen sozialen Realitäten wie Armut und Ungleichheit spielen nur eine untergeordnete Rolle und in den sozialen Umwälzungen des 20. Jahrhunderts spielt Humanismus dann praktisch gar keine Rolle mehr (leider).

Insgesamt lässt Humanismus etwas vermissen, was Sarkar eine “fortwährende Quelle der Inspiration” nennt. Ohne eine tiefe emotionale Motivation verliert er schnell an Dynamik und Lebenskraft.

Real existierender Humanismus?

Welche Rolle spielt also traditioneller Humanismus in der heutigen Welt, abgesehen von Verfassungstexten und politischen Sonntagsreden?

Nun, humanistisches Denken legte im 18. und 19. Jahrhundert den Grundstein für das moderne Bildungswesen, war doch die Entfaltung des individuellen Potentials seit jeher ein humanistisches Grundanliegen.

Wohl nicht zufällig war auch der erste Zweig der von Anandamurti gegründeten neohumanistischen Bewegung eine Bildungsbewegung, die mit einem ganzheitlichen Curriculum für Kindergartenerziehung begann und heute im Ananda Marga Schulsystem “Gurukul” (traditionelle Bezeichnung für das indische Bildungssystem) alle Alters- und Bildungsstufen bedient.

Und dann ist da noch jener Humanismus, der auf politischer Ebene immer wieder zur Schau getragen wird.

Schattenseiten.

In der angeblich aufgeklärtesten aller Zeiten dienen humanistische Werte wie “Freiheit” und “Demokratie” gar als Rechtfertigung für Angriffskriege wie die Irakkriege durch die USA.

Humanistische Menschenrechtsbeteuerungen verkommen vollends zu heuchlerischen Lippenbekenntnissen, wenn es um die stillschweigende Akzeptanz, die Beschönigung oder die Leugnung der grausamen Armut weltweit geht. Das weltpolitische Geschehen wird heute dominiert von solchen Heucheleien. Sarkar nennt dies “Pseudo-Humanismus”.

Deshalb die gleiche Frage noch einmal, doch umgekehrt gestellt: Warum überhaupt noch an einen Humanismus anknüpfen, der in der realen Welt so gründlich versagt hat bei seinem Versuch eine bessere Welt zu schaffen?

Kein Humanismus ist eben auch keine Lösung.

Da ist zum einen die Erkenntnis, dass die Würde des Individuums, der Glaube an seine Entwicklungsfähigkeit und grundlegende ethische Normen von elementarer Bedeutung für das Zusammenleben in der Gesellschaft und die Gestaltung der Zukunft sind, ganz gleich, welchen Namen man dieser Überzeugung gibt.

Alles andere wäre ein Rückschritt in dunkle Zeiten. Zum anderen stehen humanistische Ideale für das Vertrauen in die positiven Kräfte im Menschen und in der Natur und in die Sinnhaftigkeit des Lebens auf dem Weg zur Vervollkommnung.

Menschen sind Teil der Natur.

Ein letzter zentraler Aspekt darf nicht unerwähnt bleiben, es geht um den wohl größten gesellschaftlichen Trend der letzten fünf Jahrzehnte: Ökologie und Umweltbewusstsein. Dieses ist gewissermaßen in das Genom des Neohumanismus mit seinem ganzheitlichen Grundverständnis des Daseins einprogrammiert.

Mensch sein bedeutet, einen bestimmten Platz auf der kosmischen Evolutionsleiter einzunehmen, so wie dies auch Tiere und Pflanzen tun, selbst unbelebte Materie. Wir sind alle aus dem gleichen Stoff gemacht.

Besonders die höher entwickelten Tierarten unterscheiden sich genetisch kaum noch vom Menschen, sie empfinden Freude, Schmerz oder Liebe wie wir, leben in komplexen Sozialstrukturen. Und sie alle besitzen das gleiche Lebensrecht wie wir. Dieser Aspekt fehlt im traditionellen Humanismus komplett.

Das Netzwerk des Lebens.

Ohne die innere Erfahrung der Verbundenheit jedoch, und ohne eine rationale Betrachtungsweise dieser realen Zusammenhänge – also lediglich aus einem modernen Nützlichkeitsdenken heraus – fehlt der ökologischen Idee zum einen das Element der Selbstverständlichkeit, zum andern der Charme, der sie zu einer spürbaren Bereicherung des Lebens macht.

Anders ausgedrückt: reines Zweckdenken (“Wir Menschen werden eines Tages vernichtet, wenn wir weiterhin unsere Lebensgrundlagen zerstören!”) hingegen ist eine oberflächliche und kurzlebige Kosten-Nutzen-Motivation.

Neohumanismus ist ein großartiges, tolerantes, von Dogmen und Gruppismen befreites Lebensgefühl. Es gewinnt seine dauerhafte Inspiration aus der erlebten Verbundenheit mit der universalen Bewusstseinsessenz, die sich in der Vielfalt der Lebensformen manifestiert.

Wer diese Verbundenheit wahrnimmt, erlebt sie nicht nur innerlich, sondern auch im Verhältnis zu anderen Menschen, zu Tieren und zu Pflanzen, denn in allen lebt und wirkt die gleiche göttliche Essenz. Es entsteht ein Gespür für das feine Netzwerk des Lebens, das alles durchdringt und das in jeder Sekunde seiner geistigen Vervollkommnung entgegen strebt.

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Wir danken dem Autor für die Erlaubnis zur Veröffentlichung dieses Textes.
Dieser Artikel erschien zuerst auf cosmicdance.de:

https://cosmicdance.de/art/47/traditioneller-humanismus

Der Inhalt des Artikels entspricht der Meinung des Autors und nicht notwendigerweise der Meinung der Redaktion.

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