Der Inhalt des Artikels entspricht der Meinung des Autors und nicht notwendigerweise der Meinung der Redaktion.
Von Indrajit Joachim Vogt.
Humansentiment
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“… denn ihrem Moralismus und Humanismus mangle die Einsicht in den dämonischen Charakter der menschlichen Existenz.“
Thomas Mann in “Doktor Faustus”
Humanistisches Sentiment.
Würden sich nun die Völker endlich untereinander aussöhnen – wäre dies nicht die Krönung aller zivilisatorischen Entwicklungen? Diese Vorstellung entspricht vielleicht humanistischen Idealen.
Die UN-Charta nennt Kriegsverhinderung und Völkerverständigung an erster Stelle ihrer selbstgesetzten Ziele. Doch eine solche Idee hätte zwei deutliche Schwächen: erstens erkennt sie noch die Existenz unterschiedlicher Nationen an.
Nationale Soziosentimente wirken weiter, man hat aber gelernt sich im politischen Alltag zu arrangieren. In Krisen und Ausnahmesituationen sind Konflikte, auch kriegerischer Natur, jederzeit wieder möglich.
Zweitens wurden die nichtmenschlichen Lebewesen schlicht vergessen. Das Humansentiment reicht zwar sehr weit, doch es endet eben auch beim Menschen. Das Wohl von Tieren und Pflanzen wird zur Nebensache, sofern es überhaupt eine Rolle spielt. Mehr dazu weiter unten.
Wenn Unterschiede nicht gleich Abgrenzung bedeuten.
Die Familie ist ein gutes Beispiel dafür, welche Kraft ein Gruppengefühl entfalten kann. Familie ist auf natürliche Weise ein verbindendes, übergeordnetes Element; persönliche Eigenheiten treten zurück.
Man mag sich nicht mit allen Verwandten grün sein, aber zu familiären Anlässen trifft man sich, tauscht Freundlichkeiten aus. Man ist geneigt, einander zu vertrauen und sich auch in schwierigen Lagen loyal zueinander zu verhalten.
Dieses Beispiel lässt sich natürlich nur begrenzt auf die Ebene der Völkerverständigung übertragen.
Doch es verdeutlicht, wie ein Gruppensentiment als Gegengewicht zur individualistischen Lebensweise und Eigennützigkeit wirken kann und so unnötige Konflikte vermieden werden können.
Mensch unter Menschen.
Jeder Mensch ist einzigartig, doch es gibt weit reichende Gemeinsamkeiten: Menschen aller Kulturen lächeln, lachen oder singen um Freude auszudrücken, weinen und trauern auf ähnliche Weise bei traurigen Anlässen.
Die elementaren Befindlichkeiten von Menschen sind dieselben, die vielen Zwischentöne menschlicher Gefühlsausdrücke ähneln sich, gleich in welchem Land oder Kulturkreis man sich bewegt.
Das Gefühl, Teil einer globalen Menschheit zu sein, entsteht und wächst normalerweise durch Begegnungen mit sehr unterschiedlichen Menschen.
Wer viel auf Reisen ist, kennt dieses Gefühl, dass die Unterschiedlichkeit der Kulturen kein Hindernis darstellt, sondern sehr reizvoll sein kann. Selbst Sprachbarrieren müssen heute keine große Hürde mehr darstellen.
Das Gefühl, Mitglied der kosmischen Familie der Menschen zu sein, sollte zu einer Selbstverständlichkeit werden. Es wächst mit der intuitiven Erkenntnis unserer gemeinsamen kosmischen Herkunft.
Wenn äußerliche Merkmale wie Hautfarbe oder unterschiedliche Denk- und Lebensweisen zur Nebensache werden, was wäre es dann für eine absurde Idee Krieg gegeneinander zu führen?
Doch Kriege werden ja schließlich nicht von Völkern angezettelt, sondern von Regierungen und Regenten und mächtigen Interessen im Hintergrund.
Wunsch und Wirklichkeit.
Bei entsprechendem politischen Willen wäre es ein leichtes, innerhalb weniger Generationen ein globales Menschheitsgefühl aufzubauen.
Im Wege stehen politische und ökonomische Einzelinteressen, die von Spaltung profitieren. Teile, herrsche und beute aus!
Auf den bisherigen Seiten wurden ja schon einige Beispiele gebracht, wie Menschen durch Geo- und Soziosentimente manipuliert werden.
Das Humansentiment ist da keine Ausnahme. Hier offenbart sich eine dritte Schwäche des traditionellen Humanismus: Menschenrechte und Humanität werden gepredigt bzw. als Propagandamittel missbraucht, aber hinter dem Rücken findet Ausbeutung statt.
Staatliche Entwicklungshilfe liefert dafür allzu häufig Beispiele, wenn sie etwa mit dem Hintergedanken geleistet wird, eigene Technologien zu verbreiten um Märkte zu erschließen.
Das humanitäre Anliegen wird so zur Heuchelei. P.R. Sarkar nennt solche Machenschaften pseudo-humanistische Strategie.
Verbindende Elemente für eine Globalisierung der Menschlichkeit.
- Kommunikation und Austausch
- Förderung von Englisch als Weltsprache
- Gelebte Spiritualität (Selbstverständnis als kosmische Wesen)
- Ausbeutungsfreie, dezentralisierte Wirtschaftsordnung
Pflanzen, Tiere und Menschen.
Die Überschrift gibt die Reihenfolge der Artenentstehung wider, wie sie sich in Milliarden Jahren der Evolution auf der Erde vollzog.
Die Menschheit benimmt sich heute wie der erfolgreiche jüngste Sprössling einer Familie, der aus Eigennutz nach Belieben seine älteren Geschwister ausnutzt und zerstört.
Das Primat des eigenen Überlebens in einer rauen Natur soll hier nicht in Frage gestellt werden. Lebendige Organismen leben immer direkt und indirekt auf Kosten anderer Organismen, indem sie sich etwa gegenseitig aus ihren Lebensräumen verdrängen oder sie zu Nahrungszwecken töten.
Auch Veganismus kann und wird daran nichts ändern, so lange wie Menschen Häuser bauen und Nahrung brauchen.
Doch trägt der Mensch eine besondere Verantwortung. Mit seinem erwachten Bewusstsein, seiner Intelligenz und seinen komplexen psychischen Strukturen ist er eben nicht einfach ein weiteres Tier in der Evolutionskette.
Mit seiner Macht wächst seine Verantwortung. Gedankenloser materieller Überfluss unter Missachtung der Rechte von Tieren und Pflanzen passt nicht dazu.
Umweltschutz aus Eigennutz.
Der Umweltgedanke, seit etwa 50 Jahren weltweit Regierungsprogramm, ist getragen vom Nützlichkeitsdenken, genauer gesagt von der Erkenntnis dass die Naturzerstörung letztlich auch uns selbst schadet.
Dass wir den Ast absägen, auf dem wir sitzen, und so weiter. Alles dreht sich letztlich um den Menschen: Anthropozentrismus.
Und dies nach allem, was wir längst über Tiere wissen: dass sie Freude und Schmerz empfinden, ihre Nachkommen lieben und komplexe Sozialstrukturen haben. Dass sie untereinander kommunizieren und Sprachfähigkeiten besitzen.
Dass sie Dinge vermögen, von denen Menschen nicht mal träumen können, wie das Auffinden von Nistplätzen am anderen Ende der Welt oder den Bau stabiler Nester aus ein paar Zweigen. Und DASS SIE WEITERLEBEN WOLLEN wie wir auch.
Unsere als humanistisch sich preisende Gesellschaft ist pathologisch schizophren, wenn es um den Umgang mit Tieren geht.
Der eigene Hund, bester Freund vieler Menschen, wird öfter zum Arzt gebracht als der Opa und am Ende eingeschläfert, während der tägliche Mittagsbraten von sensiblen, hochintelligenten Schweinen stammt, die in einem kurzen, leidvollen Leben milliardenfach zur finalen Schlachtung “produziert” werden.
Eine weitere traurige Krönung der Schizophrenie: gelbe Küken, beliebtes Kindermotiv für Spielzeuge aller Art, werden millionenfach nach der Schlachtung direkt in den Fleischwolf geworfen, als wären sie lebloser Dreck (ja, das Verbot kommt, nun mit nochmaliger Verzögerung in Deutschland, aber viel zu spät).
Oder Versuchstiere: selbst hoch entwickelte Primaten werden im modernen, angeblich der Menschheit oder dem “Fortschritt” dienenden Wissenschaftsbetrieb als Versuchstiere für banale Zwecke verheizt.
Soziosentiment “maximitis”.
Also: auch Tiere und Pflanzen sind kosmische Geschöpfe – wenn auch auf unterschiedlichen Entwicklungsstufen der Evolution. Allen Lebewesen gebührt Respekt und alle Lebewesen haben das Recht auf ein würdiges, artgerechtes Leben.
Wir sollten immer nach der Devise handeln, so wenig Schaden und Leid in der Tier- und Pflanzenwelt anzurichten wie möglich und dafür auch Opfer in Kauf nehmen, so weit akzeptabel.
Insofern der klassische Humanismus nichtmenschliche Lebewesen komplett ignoriert, zelebriert er nur ein weiteres Soziosentiment, nämlich das “Humansentiment”, auch wenn dieses durchaus sehr breit aufgestellt ist.
Tiere sind in der heutigen Welt nur noch selten eine Bedrohung für Menschen. Wo sie in Schach gehalten werden müssen, bspw. in der Landwirtschaft, gilt die soeben genannte Devise.
Bei höher entwickelten Tierarten sollten strengere Maßstäbe gelten als bei primitiveren.
Vorschläge.
Wie könnte ein verantwortungsvoller Umgang mit Tieren aussehen? Es wird in einem schrittweisen Prozess geschehen müssen, denn die breite Bevölkerung muss diese Transformation mitgehen.
– Aufklärung über Tierhaltung und gesundheitliche Folgen überhöhten Fleischkonsums, beginnend in der Schule
– Dezentralisierung und Regionalisierung der Fleischproduktion: parallel zur angestrebten Regionalisierung besonders der Nahrungsmittelproduktion wird die Bevölkerung viel direkter in alle verbundenen Prozesse involviert sein.
– Tierische Produkte sollten wo immer möglich durch pflanzliche ersetzt werden. Vegetarismus als genussvolle Lebensart sollte aktiv gefördert und zelebriert werden.
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Wir danken dem Autor für die Erlaubnis zur Veröffentlichung dieses Textes.
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