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Der Inhalt des Artikels entspricht der Meinung des Autors und nicht notwendigerweise der Meinung der Redaktion.

Von Indrajit Joachim Vogt.

Soziosentiment

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“Wenn eine [gesellschaftliche] Gruppe, angetrieben vom Soziosentiment, nur noch ihre eigenen sozioökonomischen und politischen Interessen verfolgt und die anderer Gruppen ignoriert, so führt dies letztendlich zu Konflikten zwischen den Gruppen oder Gemeinschaften.”

Prabhat Rainjan Sarkar, aus dem Vortrag “Lebewesen und ihre Mentalität” (1982)

Gruppenzugehörigkeit und Gruppismus.

Die instinktive Neigung in Gruppen zu leben ist Teil der menschlichen Natur. Menschen brauchen Gesellschaft und tendieren dazu Gruppengefühle aufzubauen wie Zuneigung, Loyalität usw.

Das ist nicht anders als bei den Tierarten, die in Herden oder Rudeln leben, während andere lieber Einzelgänger sind. So wie Löwen und Tiger, die einen so, die andern so, und der Mensch gehört nun mal zu den Herdentieren.

Wie weit reichen die Vorteile der Gruppe?

Die Bindekräfte innerhalb einer Gruppe ergeben sich aus den Gemeinsamkeiten und den geteilten Interessen. Gruppen bieten Schutz, Unterstützung und Austausch; sie erweitern den Radius der individuellen Möglichkeiten und dies stärkt die persönliche Stellung in einer unsicheren Welt.

So entwickelt sich dann meist auch eine weitere, eine emotionale Komponente des Gruppengefühls und Sarkar nennt sie Soziosentiment.

Während bei den praktischen Aspekten des Gruppengefühls rationale Überlegungen eine große Rolle spielen, entzieht sich der emotionale Anteil tendenziell der Kontrolle einer rationalen Beurteilung. Hierin liegt die Gefahr von Gruppenbindungen.

Gruppe bedeutet Abgrenzung.

Gruppengefühle stärken einerseits den Zusammenhalt zwischen Gleichgesinnten, was im Prinzip ja eine gute Sache ist. Doch gleichzeitig bedeutet die Existenz einer Gruppe immer auch die Abgrenzung gegenüber Nicht-Mitgliedern.

Dies liegt in der Natur der Sache und bedeutet an sich wiederum nichts Negatives. Doch wird aus Abgrenzung schnell auch Konkurrenz, Verachtung, Hass und Aggression gegenüber anderen, denken wir zunächst einmal nur an Straßenschlachten zwischen Fußballfanclubs oder an die shitstorms und Schlammschlachten zwischen den gesellschaftspolitischen Lagern in den sozialen Medien.

Wenn also weitere, negative psychologische Momente hinzu kommen, wird das Gruppensentiment sehr schnell zu einer zerstörerischen Kraft jenseits rationaler (Selbst-) Kritik.

Auf internationalem Parkett werden so Katastrophen befeuert. Und hier entstehen Gruppenkonflikte nicht aus dem Nichts, sondern werden gezielt angeheizt und gelenkt um Eroberungen, ökonomische Ausbeutung und weitere Interessen der jeweils herrschenden gesellschaftlichen Schicht (Gruppe) zu bedienen.

In einer Zeit der 100-prozentigen medialen Durchdringung der Bevölkerung wird staatliche Propaganda, offen oder verborgen, zur Superwaffe von Regierungen, die direkt oder indirekt die Medien kontrollieren.

Beispiel 1: Kolonialismus.

Die Kolonisierung der Welt begann mit den großen Entdeckungsreisen europäischer Seefahrer seit dem 16. Jahrhundert, die zunächst die begehrten Handelsrouten von und nach Übersee eröffneten.

Nachdem der Appetit auf die Reichtümer der Welt einmal geweckt war, gab es kein Halten mehr. Die Außenhandelsposten wurden erweitert, neue Gebiete erobert, die ansässige Bevölkerung vertrieben, zwangsbekehrt, versklavt oder getötet.

Nahrungsmittel, Gold, Silber und andere Bodenschätze wurden nach Belieben aus den Kolonien geraubt und flossen in die Herrenländer – die Basis für den Reichtum Europas bis heute.

Gruppenarroganz gegen das schlechte Gewissen.

Diente in der Anfangszeit der Koloniserung noch der missionarische christliche Eifer als Verteidigungswall gegen das schlechte Gewissen angesichts solcher Verbrechen, so war es später eine Art Zivilisierungseifer. (Jedes Unrechtssystem schafft sich seine Rechtfertigungsnarrative.)

Den Akteuren des Kolonialismus – Geschäftsleute, Herrscher, Politiker, Soldaten, Siedler (Auswanderer) – wäre es nicht im Traum eingefallen sich für ihre vielen Gräueltaten schuldig zu fühlen, weil sie sich als überlegene Rasse fühlten.

Schließlich waren sie es doch, die die Zivilisation in die Wildnis trugen und den Einheimischen so ein besseres Leben nach europäischen Maßstäben bringen würden! Für diesen “guten Zweck” war dann jedes Mittel erlaubt.

Die weiße Rasse verbreitete ihre vermeintlich überlegene Art zu leben, ihr Verständnis von Zivilisation, Religion und Technologie in den Kolonien, ungefragt, ungewollt, unpassend und gewaltsam.

Doch im Grunde ging es den Kolonialherren stets nur um eines: die Ausbeutung der lokalen Bodenschätze und Arbeitskräfte zur Vermehrung des eigenen Reichtums.

Sollten vereinzelt moralische Zweifel an der Rechtmäßigkeit aufgekommen sein, so wurden diese erfolgreich verdrängt durch das Überlegenheitsgefühl der weißen Rasse anzugehören. Ein lupenreiner Gruppismus oder Soziosentiment.

Postkolonialismus.

Wer nun denkt, das sei doch alles Schnee von gestern, sollte genauer hinschauen.

Zwar entstanden nach dem Zerfall der Kolonialreiche in den Jahrzehnten nach dem 2. Weltkrieg vor allem auf der südlichen Erdhalbkugel unabhänige Staaten, doch was bedeutet schon politische Unabhängkeit ohne ökonomische Unabhängigkeit?

Noch immer wandern riesige Mengen an Rohstoffen, die oft unter katastrophalen ökologischen und sozialen Bedingungen abgebaut werden, aus dem armen Süden in den ressourcenhungrigen Norden. Hier findet dann meist die Weiterverarbeitung statt, also ein großer Teil der Wertschöpfung.

Die reichen Industrieländer könnten schlicht nicht existieren ohne diese Importe. Heute produzieren Millionen Ausgebeutete in den früheren Kolonien Lebensmittel oder Luxus- und Hightechprodukte für die weltweit aufgestellten Konzerne mit ihren Firmensitzen in Steuerparadiesen.

Von den Gewinnen kommt bei der lokalen Bevölkerung quasi nichts an. Korruption öffnet den Konzernlobbyisten in den armen Ländern alle Türen um den maximalen Profit herauszuschlagen und die lokalen Eliten zu füttern.

Die immensen Schulden besonders armer Länder liefern den globalen Finanzinstitutionen wie dem IWF das perfekte Druckmittel in die Hand, um Privatisierungsprogramme und andere unternehmensfreundliche Maßnahmen zu erzwingen.

Versteckt wird die Räuberei hinter fadenscheinigen Argumenten wie “Sollen sie sich doch freuen, dass sie überhaupt Arbeit haben”, “Früher war alles noch viel schlimmer”, oder “So geht nun mal (der angeblich unvermeidliche) Kapitalismus. Sorry!”

Dies sind die lächerlichen und doch inzwischen tief im öffentlichen Diskurs verwurzelten Rechtfertigungsdogmen, die in schicken Fernsehstudios mit entspannten und nachdenklich-besorgt wirkenden Politikern und Intellektuellen scheinbar zur Diskussion gestellt werden.

Mit diesen und anderen Akteuren auf der großen Bühne befasst sich [der nächste Artikel].

Sozio-Nationalismus:

Auch Nationalismus ist ein Gruppismus und lebt von Grenzziehungen aller Art.

Denn nicht nur die bereits besprochenen geographischen Grenzen spielen hier eine Rolle, sondern auch Faktoren wie die historische Entwicklung, gemeinsame Sprache, ethnische Wurzeln (äußere Merkmale) oder kulturelle Gewohnheiten.

Auch vermeintliche Charaktereigenschaften werden immer wieder gern ganzen Völkern bzw. Nationen zugeschrieben, “Volksgemeinschaften” ausgerufen.

Nur ein Mythos.

Doch keines dieser Kriterien spielt in der Realität eine entscheidende Rolle, wenn es um staatliche Grenzen geht. Das zeigt sich besonders deutlich bei der Sprache.

Die Schweiz hat vier Landessprachen, Indien hat Dutzende; in Lateinamerika wird in etwa 25 Ländern die selbe Sprache gesprochen.

Es kommt seit Menschengedenken immer wieder zu Vertreibungen, Auswanderungs- und Flüchlingsströmen innerhalb Europas.

Was genau definiert also den Charakter eines Volkes oder Staates? Warum wird noch immer die Bindung der Menschen an ihr Staatsgebilde , die Identifizierung mit der Nation als Nationalgefühl oder Nationalstolz emotional überhöht?

Dies birgt selbst im “vereinten Europa” des Jahres 2023 noch politischen Konfliktstoff. Es ist aber sicher ein probates Mittel der lokalen Führungs”eliten” um ihre Macht zu zementieren und wird dementsprechend missbraucht.

Sarkars Definition des Rechtes auf eine Staatsangehörigkeit ist einfach und präzise: Wer seine persönlichen sozioökonomischen Interessen mit denen seiner sozialen Gemeinschaft verschmolzen hat, der oder die gehört dazu.

Das bedeutet einerseits: äußerliche Merkmale wie Ethnie, Hautfarbe, sexuelle oder religiöse Orientierung etc. sind bedeutungslos.

Andererseits sind es sehr pragmatische Aspekte die erfüllt werden müssen, damit die Gemeinschaft gut funktioneren kann und die unter den Oberbegriff “sozioökonomisch” fallen, wie Sprachkompetenz und die Akzeptanz und Teilnahme an grundlegenden sozialen Gepflogenheiten.

Lösung: Staatenbildung nach sozioökonomischen Kriterien.

Wie bereits beschrieben definieren die heutigen Nationalstaaten ihre Grenzen nur teilweise nach Vernunftkriterien und zu einem großen Teil nach emotional überhöhten Sentimenten und fragwürdigen historischen Entwicklungen.

Es wäre besser, die emotionalen Aspekte aus unserem nationalen Selbstverständnis zu streichen und die Vernunftaspekte zur Grundlage für die Staatenbildung zu machen.

Einige Vernunftaspekte wurden bereits genannt – eine gemeinsame Kultur und Sprache sind sicherlich sehr nützlich für den inneren Zusammenhalt jeder Gesellschaft.

Hinzu kommen sollten jedoch noch ökonomische Kriterien, angefangen bei den geographischen Gegebenheiten bis hin zur Wirtschaftsleistung (ähnlicher Lebensstandard u.v.m.).

Dies alles wäre nur im Rahmen einer neu zu strukturierenden, dezentralen Ökonomie sinnvoll. Doch das ist wieder ein weiteres Thema.

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Wir danken dem Autor für die Erlaubnis zur Veröffentlichung dieses Textes.
Dieser Artikel erschien zuerst auf cosmicdance.de:

https://cosmicdance.de/art/41/soziosentiment

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